Englische Kultur, französisches Essen, mediterranes Flair
Die Kanalinseln auf der Höhe der Normandie bekommen mehr Wärme und Sonne ab als andere britische Inseln. Sie sind ein idealer Ort der Entschleunigung.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Kanalinseln bekommen mehr Wärme und Sonne ab als andere britische Inseln.
- 2025 werden die Inseln erstmals direkt ab Bern angeflogen.
Rolf Meier Reisen in Neuhausen am Rheinfall startet im nächsten Jahr einen Test: Bisher flog das Reiseunternehmen in der Sommersaison jeden Samstag direkt von Zürich auf die Kanalinseln Jersey und Guernsey. «Wir denken, dass es dafür auch ein Potenzial in Bern gibt», meint Mitinhaber Walter Fink.
«Deshalb fliegen wir im April und Mai 2025 an vier Samstagen erstmals auch ab Bern.» Wenn das Ergebnis überzeugt, soll das Angebot ab 2026 fest ins Programm aufgenommen werden.
Die Kanalinseln sind eine spannende Mischung. Aus Good Old England scheinen die Landhäuser, Dörfer, Gehöfte und steinernen Kirchen zu stammen. In den Restaurants hingegen tafelt man Französisch und schlürft zum Beispiel frische lokale Austern.
Als starker Kontrast wachsen in den Gärten Palmen, denn dank des Golfstroms ist das Klima mild. Die Sommer sind warm; im Winter sinkt die Temperatur praktisch nie unter den Nullpunkt.
Der Rhythmus des Lebens ist beschaulich, und Walter Fink empfiehlt die Kanalinseln gestressten Managern und ihren Familien als Rückzugsorte. «Sehr beliebt beim Schweizer Publikum sind Inselkombinationen», sagt Fink. «Schon Jersey ist eine Destination, wo man sich um Jahrzehnte zurückversetzt fühlt. Auf den kleineren Inseln geht es noch gemächlicher zu.»
Fünf bewohnte Inseln
Auch an Guernseys Küste wechseln sich steile Klippen und weite Strände ab. Die Inselhauptstadt Saint Peter Port mit knapp 20'000 Einwohnern lädt mit ihren verwinkelten Gassen zum Flanieren. Die weitgehend unberührte Region an der Südküste Guernseys lockt Naturliebhaber und Wanderer. Von Guernsey gibt es Fährverbindungen nach Alderney, Herm und Sark.
Alderney, die nördlichste Kanalinsel, ist acht Quadratkilometer gross und hat rund 2000 Einwohner. Sehenswert sind dort die alten Befestigungsanlagen, doch wird die felsige Insel vor allem wegen ihrer Ruhe und Abgeschiedenheit geschätzt.
Das autofreie Sark ist die viertgrösste Kanalinsel mit 5,5 Quadratkilometern und etwa 500 Einwohnern. Ein Herrenhaus («Seigneurie») mit öffentlich zugänglichen Gärten erinnert daran, dass die Insel Europas letzter Feudalstaat war. 2008 wurden erstmals demokratische Wahlen abgehalten.
Die ebenfalls autofreie Insel Herm ist mit 1,5 Quadratkilometern und rund 80 Einwohnern winzig. In ihrem Süden gibt es imposante, 70 Meter hohe Steilklippen; die ganze Nordküste ist ein einziger Sandstrand.
Ein Steuerparadies
Ein Seigneur ist auch der 78-jährige Vincent Obbard, Besitzer des Samarès Manor, ein herrschaftliches Anwesen mit einem gepflegten Park. Die Seigneurs von Jersey waren einst Lehensnehmer der Krone und lebten von den Abgaben ihrer Untertanen. Der erste Herr von Samarès war Rudolph de St Hilaire, der den Titel 1095 vom englischen König verliehen bekam.
Der heutige Seigneur, der 45., findet seinen Titel «irgendwie lustig», wie er sagt, aber bedeutungslos. Obbard lebt von den Eintrittsgebühren der Besucher.
Saint Helier, Jerseys Hauptstadt, ist der einzige Ort, der erahnen lässt, dass hier zu viel Geld vorhanden ist. Saint Helier mit seinen 40'000 Einwohnern besitzt eine putzige Altstadt, wird aber von protzigen Bürobauten dominiert.
Jersey ist als Kronbesitz direkt dem britischen Monarchen unterstellt; die Verwaltung ist autonom; niedrige Steuern locken reiche Ausländer an. Zudem waren Jersey und Guernsey lange Jahre als Finanzplatz mit grosszügiger Handhabe des Bankgeheimnisses bekannt.
Kein Wunder also, dass vor Jahrzehnten die ersten Fluggäste aus der Schweiz Banker waren, wie Walter Fink lachend bemerkt.
Um sich auf Jersey fortzubewegen, ist der öffentliche Verkehr ideal, gut ausgebaut, günstig (50 Schweizer Franken für ein Wochenticket) und zuverlässig. Aber da die Insel relativ flach und nicht sehr gross ist, kann man sie auch mit Mietvelos erkunden.
Zumal rund 80 Kilometer kleine, verkehrsberuhigte Strassen und Wege als «Green Lanes» ausgeschildert sind. Auf ihnen darf höchstens 24 km/h gefahren werden; Wanderer, Fahrradfahrer und Reiter haben Vortritt.
Spektakuläre Küsten
Spektakulär sind Jerseys Küsten vor allem, wenn man sie mit Trudie Trox erkundet. Trudie, in Augsburg geboren, kam als Reisebuch-Autorin auf die Insel und blieb der Liebe wegen. Zusammen mit ihrem Mann Derek Hairon betreibt sie die Jersey Kayak and Walk Adventures. Eine Wattwanderung mit ihr erweist sich als grossartige Lektion in Botanik und Zoologie, Geschichte und Gesellschaftskunde.
Allein Trudies Storys darüber, wie das Abernten von Seetang oder die Austernzucht zu Wohlstand und Clan-Fehden führten, könnten Bücher füllen. Beredt schildert sie die Tücken der Flut: Die Kanalinseln liegen vor einem Flaschenhals, wo sich der Atlantik in den Ärmelkanal zwängt.
Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut ist deshalb hier so gross wie kaum irgendwo sonst. An der Plémont Bay zu erleben, wie sich die wilden Wassermassen tosend an den Felsen brechen, ist ein eindrückliches Schauspiel.
Am Schluss fährt man hinaus nach St. Mary im Norden und lässt sich die La Mare Wine Estate zeigen. Dort wächst nicht nur Wein, was überraschend ist für eine Gegend so weit nördlich. Auch Apfelwein, Gin, Brandy werden hier produziert, Schokolade, Konfitüren, Karamell und Bier.
Wenn Jersey ein britisch-mediterraner Mikrokosmos ist, dann ist La Mare ein Mikrokosmos der Insel Jersey.