Kleines Simmental, grosse Show
Wasser ist der Star im Berner Oberländer Simmental. Es erschafft Naturwunder, die einzigartig in der Schweiz sind.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Simmental im Berner Oberland ist voller Naturwunder zum Selbstentdecken.
- Eine faszinierende Kraterlandschaft, durch Regenwasser erschaffen, lockt mit grünen Oasen.
- Bisher stark landwirtschaftlich geprägt, setzt man beim Tourismus nun auch auf Kulinarik.
Die Sonne scheint, aber die Wanderer im Simmental (BE) klappen den Regenschirm auf. Wer keinen hat, bekommt eine Gratisdusche auf der Barbarabrücke. Über den Köpfen ist ein Loch im Felsen, ein Maul, das lauthals Wasser gen Tal spuckt. Der Simmenfall dreht hier voll auf, schäumt vor Wut, die Gischt zischt.
Der Gebirgsbach eilt bei seinem Weg nach Lenk von einem Ausbruch zum nächsten. Steilfall, zickzack zwischen den Steinen, tänzelnd am Felsrand, brachial durch die Mitte des Flussbettes.
Der Simmenfall ist ein wilder Geselle und passt eigentlich so gar nicht in das ruhige, beschauliche Tal. Hier gibt es keine Bergsteiger, die am Morgen mit Pickel und Seil vorbeihetzen, keine drängelnden asiatischen Touristengruppen.
Die Natur wird nicht inszeniert mit Abenteuerwegen oder künstlich geschaffenen Aussichtsplätzen. Sie darf hier im Berner Oberland Selbstdarsteller sein und hat es auch gar nicht nötig, dass man nachhilft. Denn das Tal ist voller kleiner Naturwunder, die man entdecken muss. Wer sich darauf einlässt, erlebt berührende Momente, (be-)rauschendes Glück und eine Region voller Überraschungen.
Es ist, als könnte der Simmenfall Gedanken lesen. Nachdem wir die Barbarabrücke verlassen haben und über sein lautes Wesen grübeln, lässt er plötzlich nach. Der Wanderweg steigt steil an. Man sieht den Flusslauf alsbald von oben, wie er sich gemächlich in einem breiten Bett durch Wald und Wiesen windet.
Dannzumal geht der Blick nach vorn auf eine Wand am Rezliberg. Aus dem Berg, aus dem Nichts sprudelt das Wasser und stürzt sich in spektakulären Fällen senkrecht die Felsen hinab. Sieben Brunnen nennt sich das kleine Naturwunder. Wer durchzählt, kommt auf ein Dutzend und mehr Quellen, die im Sommer bis zu 2800 Liter Wasser pro Sekunden speien.
Es dauert ein paar Minuten, bis man realisiert, was sich in dieser riesigen Felsarena auch links und rechts abspielt: überall Wasserfälle, die sich Hunderte Meter durch die Wände stürzen. Man steht und staunt, fotografiert und filmt. Wasser ist Leben ist Freude ist Glück.
Einzigartiges Naturwunder
Der Grund, warum das Wasser hier auf der Ostseite des Tals aus jeder Ritze dringt, ist der Gletscher «Plaine Morte». Was abschmilzt, landet zu 90 Prozent im Simmental, der Rest fliesst ins Wallis. Dessen Berge thronen jetzt über uns.
Wir sind südlich unterwegs über Langermatten, durchqueren den letzten Winkel des Simmentals. Das Tal hat sich wie ein liegendes U in der Landschaft breit gemacht. Dies ist der Talschluss, von dem der Hauptort mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Namen hat. Lenk bedeutet so viel wie «langes Eck».
Und so zieht sich auch unser Weg, bis wir unser Tagesziel erreichen, das erneut ein feuchtes Naturspektakel ist: der Iffigfall. Über 100 Höhenmeter fällt der Gebirgsbach ungebremst nach unten. Staunend steht man daneben und weiss nicht, ob man vor Ehrfurcht schlucken oder vor Glück jubeln soll.
Faszinierende Kraterlandschaft
Auch im Westen von Lenk spielt Wasser eine Rolle, wenngleich dort nichts zischt und faucht. Wer das Blumenparadies am Betelberg durchwandert, freut sich über Schwarzen Männertreu, Blauen Eisenhut oder Gelben Enzian. Und blickt hinab auf die Moorlandschaft Haslerberg, wo die Seggen, grasartig aussehende Pflanzen, dominieren.
Doch die meisten Wanderer kommen, um eine einmalige Gebirgsregion zu durchschreiten. Mutter Erde hat eine faszinierende Kraterlandschaft vor allem am Stübleni-Gipfel geformt, um den sich der Gryden-Höhenrundweg schlängelt.
Um möglichst viele Fachbegriffe und Fremdwörter zu sparen, hier eine einfache Erklärung für das Wunder der Natur. Regenwasser hat im Untergrund Hohlräume in das Gipsgestein gefressen – so lange, bis die Oberfläche an vielen Stellen eingesunken ist. Auf diese Weise sind trichterförmige Löcher entstanden, die das Gelände aussehen lassen wie einen Golfplatz für Riesen vor riesenhafter Bergkulisse.
Es ist keine fade Steinlandschaft, sondern eine grüne Oase. Dies, weil Sträucher und Gräser Fels und Stein erobert haben und bis in die tiefen Löcher wachsen. Dieses kleine Naturwunder ist einzigartig in der Schweiz, vielleicht sogar im ganzen Alpenraum. Und es ist ein krasser Kontrast zu Fels und Eis, die im benachbarten Wallis aus dem Boden «wachsen».
Wer den Blick dorthin schweifen lässt, realisiert, wie krass sich die Landschaft verändert. Hier noch das liebenswürdige Fleckchen Grün, getauft auf den Namen Simmental. Sanft geformte Höhenrücken, Wiesen, die sich bis zum Gipfel recken, bevor im Wallis Fels, Schnee und Eis den Naturraum beherrschen.
Fokus auf Kulinarik
Mit den Wallisern gab es so manche Fehde. So spinnt sich die Sage von der «Wyberschlacht» vor rund 500 Jahren um den Glaubenskrieg. Die Lenker Männer waren losgezogen, um die Reformation voranzubringen.
Die Walliser, die sich standhaft katholisch gaben, raubten den Lenkern daraufhin das Vieh. Die Frauen aus dem Simmental allerdings holten die Tiere mit List und Mut und mit Heugabeln und Sensen bewaffnet zurück.
Dennoch muss man konstatieren, dass die Simmentaler ein friedliches Volk sind. Ruhig, bescheiden, aber trotzdem stolz auf die Natur und das, was sie hervorbringt. Die Einheimischen betonen gerne, dass sie, obgleich sie nur eine kleine Talschaft belegen, alles Wichtige zum Leben selbst erzeugen. Und so ist das Simmental freilich landwirtschaftlich geprägt.
Und doch tastet sich der Tourismus vorwärts. Rund 600‘000 Nächtigungen verzeichnet das Tal pro Jahr. Die Gäste stammen zu unglaublichen 96 Prozent aus der Schweiz.
Dennoch steckt man sich natürlich Ziele. So soll der Anteil der ausländischen Gäste bis 2027 auf 20 Prozent steigen. Konzepte liegen bereits in der Schublade, die Region will verstärkt auf das Thema Kulinarik setzen.
Perfekt anknüpfen lässt sich zum Beispiel am Lenkerhof, dessen Gourmet-Konzept preisgekrönt ist. So können Gäste etwa im Restaurant Spettacolo jeden Tag sechs Gänge geniessen, 15 stehen zur Wahl.
Darüber hinaus soll die Natur so bleiben, wie sie ist. Gut so. Wer auf der Barbarabrücke steht und die Kraft des Wassers spürt, sieht, dass es im Simmental keine künstlichen Inszenierungen braucht.