Auf Rollski durchs Engadin
Im Engadin sind die Voraussetzungen fürs Langlauf-Training auch ohne Schnee ideal. Wir haben uns mit Ex-Profi Curdin Perl auf die Rollski-Bahnen gewagt.
«Lass dir Zeit, um schnell zu sein!» Curdin Perl legt seine Skistöcke ins Gras und schaut mich erwartungsvoll an. Ich bin ein wenig ratlos. Wie meint er das genau?
«Drück dich auf den Ballen ab und bleib mit dem ganzen Körper nach vorne orientiert.» Mein Rollski-Trainer legt Wert auf eine präzise Technik, so viel habe ich nach wenigen Minuten verstanden.
Die Umsetzung aber ist anspruchsvoll: Rollski verzeihen weniger Fehler als Langlaufski. Das liegt vor allem daran, dass man mit ihnen auf einer geteerten Bahn unterwegs ist. Und dass sie nur rund 60 Zentimeter lang sind, das Gleichgewicht also schwerer zu halten ist als auf den Ski.
Aber: Gute Langläufer werden eben nicht im Winter gemacht – sondern davor. Weil ich gut vorbereitet über die Loipen rund um Pontresina düsen möchte, stieg ich für mein Grundlagentraining auf die Rollski. Und nutze nun die Herbstmonate dazu, meine Lauftechnik zu optimieren.
Pontresina gilt mit dem Anschluss an 240 Loipenkilometer durchs ganze Engadin als Schweizer Langlauf-Paradies.
Hier findet auch jedes Jahr ein grosses Langlauf-Opening statt. Der mehrtägige Kurs für Breitensportler und Hobbyläufer wird zusammen mit Profi-Athleten durchgeführt. In diesem Jahr 2024 vom 30. November bis 3. Dezember sowie vom 4. bis 7. Dezember.
Strecken mit Panoramablick
Die Vorfreude ist riesig, und es kitzelt bereits unter den Füssen. Um die letzten schneefreien Wochen also noch gut zu überbrücken, ist das Technik-Training mit Curdin genau das Richtige. Unter seinen wachsamen Blicken gleite ich deshalb gerade auf zwei Alulatten mit Hartgummirollen durch den strahlenden Engadiner Herbstmorgen.
Bei einem butterweichen Puls von 130 Schlägen/Minute fliesst die klare Luft durch meine Lungen wie zartschmelzende Schokoglasur über ein Praliné. Gleichmässig klacken meine Stockspitzen auf dem Teer.
Dieser Rhythmus spricht Bände, denn eine ruhige Bewegung ermöglicht eine hohe Geschwindigkeit. Da stimme ich meinem Trainer schon nach wenigen Kilometern zu.
Im Engadin sind die Voraussetzungen für unser Training optimal, auch ohne Schnee unter den Füssen. Die Rollski-Bahnen überlappen sich grösstenteils mit der Streckenführung der Winterloipen.
Eine beliebte Strecke ist der von Schweiz Mobil als Skating-Bahn signalisierte Abschnitt zwischen La Punt-Chamues-ch und S-chanf. Eine weitere Trainingsstrecke führt rund um den Flughafen Samedan.
Fundament wird gelegt
Doch nun lege ich meine Stöcke ebenfalls ins Gras und schaue Curdin fragend an. «Das effektivste Technik-Training ist das Laufen ohne Stöcke, denn die Beinarbeit ist entscheidend», klärt er mich auf.
Der ehemalige Langlaufprofi muss es wissen: Er war viele Jahre für Swiss Ski auf Weltcup-Niveau und bei Olympia am Start. Heute gibt der 40-Jährige sein geballtes Wissen an ambitionierte Hobbysportler wie mich weiter.
Curdin ist überzeugt: Wenn ich meine Beinarbeit perfektioniere, kann ich meine Leistung um ein Vielfaches steigern. Kraft und Ausdauer sind essenziell. Die richtige Technik wiederum sorgt für Effizienz in der Bewegung und dafür, dass die Muskulatur wirkungsvoll arbeiten kann.
Bald Profisportlerin?
Nach zwei Stunden sind aber auch bei bester Technik meine Oberschenkel leer. Es ist an der Zeit, zu sehen, was sonst noch alles möglich ist.
Ich treffe eine, die nach zwei Stunden erst so richtig warmgelaufen ist. Eine, die nach dem Mittagessen eine zusätzliche Einheit auf dem Laufband hinterherschiebt und deren Trainingsplan sich über 365 Tage erstreckt: Fabienne Alder.
Fabienne ist 21. Wenn sie vom Langlaufen erzählen, strahlt sie aber wie ein Kleinkind bei den ersten Schneeflocken des Jahres. Auch sie hat noch viel vor. Keine Schneemänner bauen – sondern Wettkampferfolge sammeln.
Die Nachwuchsathletin ist in Pontresina aufgewachsen und trainiert derzeit mit dem Bündner Skiverband. Ihr Ziel ist die Profikarriere, ohne Kompromisse und ohne Plan B. Dafür arbeitet sie hart und verzichtet auf viel: «Ein langer Ausgang am Wochenende liegt nicht drin, ohne guten Schlaf wäre das Training am nächsten Tag nicht so effektiv.»
Sommertraining am wichtigsten
Auch Ferientage zählt Fabienne an einer Hand ab: Wenn die Wettkampfsaison im April zu Ende geht, macht sie gern einen Städtetrip oder verbringt ein paar Tage am Meer. Danach geht es fast nahtlos weiter: «Der Sommer ist die wichtigste Zeit im Jahr, wenn ich meine Leistung im Winter verbessern will.»
Ein Leben ohne Langlauf? No way. Mit vier Jahren stand sie das erste Mal in der Loipe. «Das ist einfach der Sport, den ich mit meiner Familie schon immer gemacht habe», erklärt sie schulterzuckend.
Es folgte der Besuch auf der Scuola Sportiva in St. Moritz, ein Abschluss an der Sport-Mittelschule Academia Engiadina in Samedan.
Und gleich darauf der Entscheid für alles oder nichts: Fabienne stieg für eine Profikarriere in den Ring. Derzeit läuft sie schweizweite FIS-Rennen, ist im Winter fast jedes Wochenende unterwegs, nicht selten absolviert sie drei Renntage hintereinander.
Aber sie ist noch nicht am Ziel: «Ich möchte gern für den nationalen Kader fahren.»
Denn dort gehen viele Türen gleichzeitig auf: Tour de Ski, Continental Cup und Weltcup-Rennen. Ein Traum? «Ich hoffe sehr, es ist möglich.»
Dafür tut sie alles: über 20 Trainingsstunden jede Woche. Alleine auf der Bahn, oder mit dem Team im Kraftraum und auf dem Technik-Parcours. Intensive Stunden, meist hart und schweisstreibend, aber immer bereichernd.
Erfüllende Stunden, die Fabienne zum Strahlen bringen.